Alvaro Palacios

Spanien Priorat

Seerosen aus dem Priorat

Alvaro Palacios hat mit dem Kultwein L’Ermita Weingeschichte geschrieben. Die Region liegt nur zwei Autostunden von der pulsierenden Metropole Barcelona entfernt. Und doch glaubt man, auf einem anderen Planeten zu sein. Die Landschaft ist rau, gebirgig, im Sommer unerträglich heiß, im Winter unwirtlich, bis auf wenige Dörfer menschenleer. Und dennoch: Aus dem Priorat kommen einige der besten Weine Spaniens.

 

1194 gründeten Kartäuser-Mönche hier das Kloster Priorat d’Escaladei, das der ganzen Region ihren Namen gab, und machten das Priorat im Mittelalter zu einem der wichtigsten Weinbaugebiete Spaniens. Jahrhunderte später ließen zwei Ereignisse diese Blüte welken: 1835 verließen die Kartäuser auf politischen Druck hin die Gegend, und 60 Jahre danach vernichtete die Reblaus 17.000 Hektar Weinbaufläche. Heute umfasst die DOC-Region Priorat nur 1.800 Hektar. Dornröschen erwacht. Ende der 1980er-Jahre wurde das mystische, von Mönchen und Klöstern geprägte, dennoch gottverlassen scheinende Priorat von einigen Winzern aus dem langen Dornröschenschlaf geweckt. Sie erkannten das enorme Potenzial, das in den Böden und in den bis zu 100 Jahre alten Garnacha- und Carineña-Reben steckte und bauten neue Weingüter auf. Unter den »jungen Wilden«, die in dieser spirituellen Landschaft den unverfälschten Weinbau suchten, war auch Alvaro Palacios aus der Rioja. Wenige Jahre später war sein L’Ermita einer der gefragtesten Weine Spaniens und trug wesentlich zum neuen Image des Priorats bei. Alvaro Palacios’ »Mann vor Ort« ist heute Oriol Castels: Er kümmert sich hier im Dorf Gratallops um die Weinberge und den Keller: »Das mediterrane Klima beschert uns 3.500 Sonnenstunden im Jahr. Von den elf Weinbaudörfern im Priorat herrschen bei uns in Gratallops die besten Bedingungen für eine perfekte Traubenreife, weil hier die jahresbedingten Schwankungen des Klimas durch die Lage und die Höhe der Weingärten optimal ausgeglichen werden.« 30 Hektar Weingärten werden biodynamisch bewirtschaftet. Alte Weinberge pflegt man ehrfürchtig und behutsam, neue sind dem Geländeverlauf entsprechend sanft modelliert, nicht mit dem Bulldozer in die Hügel gegraben.

Der Katalane Joan Asens, früher Direktor der Önologenschule im nahen Falset, war von der Leidenschaft Palacios‘ angesteckt: »Respektiere den Platz und gib’ den Weingärten all deine Liebe.« Im Rhythmus des Mondes. 22 Männer arbeiten jahraus jahrein im Rhythmus des Mondes im Weingarten, gepflügt wird mit Mulis. »Die Arbeit der Männer, der Geist des Tieres, seine Kraft, Sanftheit und Geduld – all das ist im Weingarten. Und später im Wein.« Der Boden ist mager, steinig, enthält Schiefer (Licorella), verwittertes Vulkangestein und Quarz. Darüber liegt nur eine dünne organische Schicht – das zwingt die Wurzeln in die Tiefe. »Diese kraftvollen Böden bringen Weine mit sehr konzentrierter Frucht hervor: Pflaumen, Kirschen, Kräuter, Feigen, Nüsse«, schwärmt Joan. Priorat im Glas. Bei der Degustation erklärt er die Weine und deren Herkunft: Im Les Terrasses »hast du das ganze Priorat im Glas«. Die Trauben stammen aus verschiedenen guten Lagen der DOC-Region. Finca Dofí aus Trauben der gleichnamigen Einzellage ist ein modernerer Wein aus relativ jungen Rebstöcken. Dofí – in Spanien stets der jüngste einer Gruppe – ist eine Anspielung an die Stellung Alvaro Palacios‘ unter den Winzern, die vor 20 Jahren ins Priorat kamen. Und schließlich L’Ermita, einer der Kultweine Spaniens: ein klassischer Grand Cru, dessen Trauben ausschließlich aus dem nur 2,5 Hektar großen Weinberg L’Ermita stammen. Hier stehen nur knapp 11.000 Rebstöcke, die zusammen jene etwa 2.500 Flaschen ergeben, nach denen alle Welt verlangt. Der in steilen Terrassen angelegte Weinberg ist ideal nach Nordosten (!) orientiert. So kann der frische Garbinada, ein Wind, der vom Meer her bläst, die Reben an flirrend heißen Sommernachmittagen optimal kühlen. Joan Asens: »Der im Stil klassische L’Ermita ist Priorat pur, 80 % Garnacha, 18 % Cariñena und 2 % weiße Rebsorten, und die Essenz dieser delikaten, feinen Traube, der bestmögliche Ausdruck der Region und des Bodens.«

Spiritueller Schauer.

In diesem historischen Weinberg zwischen über 100 Jahre alten Garnacha-Reben zu stehen und kurz innezuhalten, jagt selbst dem abgebrühtesten Rationalisten einen kleinen spirituellen Schauer über den Rücken. Alvaro Palacios, dem es vor 20 Jahren ebenso erging, wählt eine schöne Metapher: »Garnacha hält die Zeit an. Gestern haben wir den neuen Jahrgang des L’Ermita gekostet. Danach sagte ich zu Joan: Mit diesem Wein haben wir die Seerosen von Monet gemalt.«